Persönliche und öffentliche Dokumente sowie Nachrichten aus erster Hand, die als Beweismittel für von staatlichen Stellen verübte Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit herangezogen werden könnten, nehme ich dankbar entgegen. (Kontakt über E-Mail-Link Mein Profil.)
Aus dem Englischen von Maren Hackmann
Originaltitel: “Murder Watch. Note to Readers Re. Even-Handed Enforcement of the Murder Laws”
by Allan Nairn, News and Comment, http://www.newsc.blogspot.com/
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Samstag, 9. Februar 2008
Samstag, 26. Januar 2008
Die eingerissene Mauer von Gaza. Kluge, gerechtfertigte politische Gewalt
Samstag, 26. Januar 2008
Die eingerissene Mauer von Gaza. Kluge, gerechtfertigte politische Gewalt
Daß die Mauer zwischen dem Gazastreifen und Ägypten eingerissen wurde, ist zweifellos eine gute Sache und ein seltenes Beispiel für die moralische – und kluge – Anwendung von Gewalt in der Politik. (Zu der Logik, die hinter der israelischen Abriegelung des Gazastreifens steckt, und deren Folgen siehe Blogeintrag vom 7. Dezember 2007, „Imposed Hunger in Gaza, The Army in Indonesia. Questions of Logic and Activism”; deutsch: „Verordnetes Hungern in Gaza, die Armee in Indonesien: Über Logik und Aktivismus“.)
In den allermeisten Fällen von politischer Gewalt – zum Beispiel bei Mord oder ungerechtfertigtem Krieg – handelt es sich eindeutig um Unrecht. Aber manchmal ist der Rückgriff auf Gewalt als letztes Mittel durchaus gerechtfertigt, sosehr wir es auch bedauern mögen, sosehr es uns auch anwidern mag. Und für diese Kategorie von Gewalt gibt es auch noch eine Unterkategorie: jene Gewalt nämlich, die nicht nur gerechtfertigt, sondern obendrein taktisch klug ist.
Morde, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind indiskutabel, doch kommt es in anderen Zusammenhängen durchaus vor, daß die eine oder andere Art von Gewaltanwendung zumindest bedenkenswert erscheint. In solchen Fällen gilt es sorgsam abzuwägen.
Was nun die eingerissene Mauer von Gaza betrifft, so bedarf es keiner großen Debatte, um festzustellen, ob die Gewaltmaßnahme berechtigt war: Kein Mensch wurde getötet; vielmehr dürfte manch einer vor dem Tod bewahrt worden sein. Außerdem gelang es mit dem spektakulären Exodus nach Ägypten, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf ein himmelschreiendes Unrecht zu lenken.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß es ausgerechnet die Hamas war, die so etwas zustandebrachte. (Zumindest wirkten einige Hamas-Leute an der Aktion mit – auf welcher Ebene, ist noch unklar.) Schließlich ist die Hamas eine Bewegung, die mit ihren Bombenanschlägen auf israelische Zivilisten unmoralisch, kriminell und taktisch dumm agierte, womit sie nur erreichte, daß die Unterdrückten in den Augen vieler zu Unterdrückern wurden; manche Opfer wurden dabei auch tatsächlich zu Mördern.
Doch diese Gewalt, die sich gegen nichts weiter als eine Mauer richtete, diese Gewalt war gut und richtig, ein wahrer Geniestreich. Einigen der bei der israelischen Armee, beim Shin Bet, beim Mossad oder im Kabinett dienenden Killer dürfte – der Legende von den allwissenden israelischen Geheimdiensten zum Trotz – für einen Moment der Schreck in die Glieder gefahren sein. Manch einer wird gar nicht gewußt haben, wie ihm geschah.
Immerhin war dies der erste große kluge Schritt der Palästinenser seit der David-und-Goliath-Intifada, bei der Israel vor 20 Jahren Panzer und wohlbewehrte Soldaten gegen steinewerfende Jugendliche einsetzte. Auf diese Weise gelang es den Palästinensern damals, die Besatzer vorzuführen und das israelische Regime in die Defensive zu drängen. (Nicht, daß dieser Zustand lange genug anhielt, um seine volle Wirkung zu entfalten. Die Friedensnobelpreisträger Rabin und Arafat ließen es nicht dazu kommen. Rabin gab den Befehl zum Knochenbrechen – „Gewalt, Macht und Prügel“ sollten die Palästinenser zu spüren kriegen –, woraufhin Israel eine Zeit lang noch schlechter aussah. Doch dann zog Arafat die jugendlichen Davids aus dem Verkehr, weil sie ohne seine Erlaubnis am Gewinnen waren.)
Fassungslosigkeit und Entsetzen machten sich auch in den Räumen der armen Washington Post breit.
Am Ende fiel ihr nichts Besseres ein, als der Hamas die „Ausnutzung des einstweiligen Brennstofflieferstops“ vorzuwerfen – weil nämlich die Hamas die Bevölkerung über diese israelische Maßnahme unterrichtete. (Ist die Information der Öffentlichkeit nicht etwas, was Zeitungen unterstützen sollten?) Außerdem scheint die Logik ihrer Ausführungen keinen anderen Schluß zuzulassen, als daß sie nun auch noch den Darfur-Flüchtlingen ihre Rechte absprechen will. („As thousands stream across the border to Egypt, Hamas blockades the peace process“, Washington Post, 24. Januar 2008.)
Die Washington Post fragte rhetorisch: „Würde Mubarak es Zehntausenden von Darfur-Flüchtlingen erlauben, vom Sudan aus – wo es eine echte humanitäre Krise gibt – illegal nach Ägypten einzureisen?“ Die realistische und (für Mubarak) schändliche Antwort lautet natürlich „Nein“. Also soll Mubarak mit den ungebetenen Gästen aus dem Gazastreifen doch bitteschön genauso übel umspringen, findet jedenfalls die Washington Post.
Damit die Palästinenser draußen (oder, besser gesagt, eingesperrt) bleiben, sollen also auch die Darfur-Flüchtlinge abgewiesen werden?
Wer mit solchen Argumenten ankommt, der weiß wohl selbst nicht mehr, womit er seine Sache noch verteidigen soll.
Wie wär’s denn, wenn ein paar Palästinenser beschlössen, auch in die Mauer im Westjordanland eine Bresche zu schlagen? Wenn, sagen wir, Zehntausende Teenager eines Morgens bei Tagesanbruch mit Spitzhacken und Brechstangen zur Stelle wären?
Würde die israelische Armee Menschenleben auslöschen, um Beton zu retten?
Wahrscheinlich schon.
Sie meint ja, das sei ihr gutes Recht.
Chaim Ramon drückte es folgendermaßen aus: „Wir haben das Recht, alles zu zerstören“ (Gideon Levy, „Little Ahmadinejads“, Haaretz, 10. Juni 2007). Diese Äußerung tat der damalige israelische Justizminister zwar im Hinblick auf den Libanonkrieg von 2006, in dessen Verlauf rund 1.000 libanesische und 40 israelische Zivilisten getötet wurden und die israelische Armee mittels ihrer größtenteils aus den USA bezogenen Streubomben rund vier Millionen Minibomben über dem Südlibanon verteilte. Es könnte sich bei Ramons Ausspruch aber ebensogut um eine Beschreibung der Moral- und Strafrechtsphilosophie des heutigen israelischen/US-amerikanischen Establishments handeln, einer Philosophie, die, wenn es um Israel geht, auch in der israelischen/US-amerikanischen Gesellschaft großen Anklang findet.
Aber wenn die Armee das machen würde, wenn sie wirklich das Feuer eröffnete, dann wäre in der israelisch-palästinensischen Geschichte ein neues Kapitel aufgeschlagen. Viele Palästinenser würden dabei ums Leben kommen, wie immer, doch wäre ihr Tod in diesem Fall vermutlich nicht sinnlos: In aller Welt – auch in den USA – würde man begreifen, wer hier wen unterdrückt.
Übrigens brachte die führende israelische Zeitung, Haaretz, unlängst eine hieb- und stichfeste Kritik an Israels sicherheitspolitischem Argument für den riesigen Sperranlagenkomplex, der im Westjordanland Dörfer abgeriegelt und in der hoch aufragenden Mauer seine Vollendung findet.
Wegen der Absperrungen müssen die Palästinenser Umwege in Kauf nehmen, die sie viel Zeit kosten, Zeit, in der manch einem die Kräfte schwinden, manch einer im Krankenwagen stirbt. Begründet werden diese Maßnahmen offiziell damit, daß jemand, der vorhabe, andere Leute und sich selbst in die Luft zu sprengen, auf diese Weise an der Begehung von Mord beziehungsweise Selbstmord gehindert werde. An und für sich wäre das eine gute Begründung.
Die Haaretz-Reporter fanden jedoch heraus, daß – unglaublich, aber wahr – 475 der 572 Straßensperren unbewacht sind, woraufhin sich ihnen ein paar Fragen aufdrängten: Wie bitte? Selbstmordattentäter sollen hier nicht durchkommen können? Sie sollen weder willens noch in der Lage sein, über die unbewachten Absperrungen zu klettern, mit denen normale Leute (und Krankenwagen) am Durchkommen gehindert werden?
Der Haaretz-Analyst gelangte zu dem naheliegenden Schluß, daß die Abriegelungen in Wahrheit einem ganz anderen Zweck dienen:
„Will hier wirklich irgend jemand ernsthaft behaupten, ein Erdwall, ein Graben oder eine Reihe von Betonklötzen sei für einen Terroristen ein unüberwindbares Hindernis? Erfüllen diese Absperrungen irgendeinen anderen Zweck, als den Palästinensern das Leben schwer zu machen? Den Kranken und Alten, den schwangeren Frauen und allen, die sich vielleicht gerade mit Einkaufstaschen abschleppen, wird das Verlassen ihrer Dörfer und Städte beziehungsweise der Nachhauseweg mit diesem Hindernislauf zweifellos erschwert. B’Tselem und die Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ haben einige Fälle dokumentiert, in denen Kranke unversorgt blieben, weil ihnen der Weg zum Arzt beziehungsweise zur Klinik versperrt war. Hingegen dürfte es jemandem, der einen Terroranschlag plant, nicht allzu schwer fallen, über die Erdwälle hinwegzuklettern, die Gräben zu überqueren und die Betonklötze zu umgehen …“
„Keiner meiner Gesprächspartner hatte“, so der Autor Daniel Gavron weiter, „ein schlagendes militärisches Argument für die unbewachten Straßensperren parat. Vielmehr legten Leute, die mit dem Denken des israelischen Militärs vertraut sind, mir gegenüber überzeugend dar, daß die Absperrungen in erster Linie der Zersplitterung des Gebiets dienen, womit die Gründung eines ‚zusammenhängenden palästinensischen Staats’, für den US-Präsident George Bush kürzlich warb, unmöglich wird. Dafür, daß die unbewachten Straßensperren die Sicherheit der Israelis in Israel oder auch nur die Sicherheit der jüdischen Siedler in den palästinensischen Gebieten erhöhen, gibt es nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, keinen Anhaltspunkt.“ (Daniel Gavron, „Start with the unmanned roadblocks!“, Haaretz, 23. Dezember 2007; der Autor verweist auch auf frühere Haaretz-Berichte.)
Bei den von palästinensischen Fußgängern verübten Bombenanschlägen ist zwar im Gegensatz zu den von israelischen Fliegern verübten tatsächlich ein Rückgang zu verzeichnen. Das dürfte aber, wie die erfahrene israelische Korrespondentin Amira Hass schreibt, andere Ursachen haben als die Mauer und die übrigen Absperrungen. (Siehe Amira Hass, „Where are the suicide bombers?“, Dezember 2007, Kibush.co.il, aus dem Hebräischen ins Englische übersetzt von George Malent. Täglich gelingt es einigen verzweifelten Palästinensern, die Mauer zu überwinden, um in Israel zu arbeiten, schreibt Hass. Wenn ein Arbeitsuchender das schafft, dann wird jemand, der aus persönlichen oder politischen Gründen ein Selbstmordattentat verüben will, das wohl auch schaffen können.)
Im übrigen hat der Internationale Gerichtshof die Mauer für völkerrechtswidrig erklärt. Ebenso unglücklich wie über die Mauer sind die Palästinenser verständlicherweise über die gleichfalls völkerrechtswidrigen Siedlungen und die ganze illegale Besatzung. Nichts wäre der Sicherheit Israels förderlicher als ein Abriß der israelischen Mauer, eine Räumung der israelischen Siedlungen und ein Ende der israelischen Besatzung.
Wie es scheint, will das israelische Regime aber partout, daß ständig Krieg in der Luft liegt, bildet doch die Kriegsgefahr den Nährboden für die politische Kultur des Landes.
Dagegen ist nichts zu sagen – was die Israelis wollen, ist ihre Sache.
Sie haben aber kein Recht, anderen Leuten ihren Willen aufzuzwingen.
Das gleiche gilt natürlich für die Palästinenser. Sie haben ein Recht auf die Durchsetzung ihrer Rechte, weiter nichts.
Und weil eine der beiden Seiten diese illegale Mauer einreißen muß und Olmert keinerlei Anstalten dazu macht, wäre es doch eine gute Sache, wenn ein paar palästinensische Teenager ihm ihre Dienste anböten.
Er kann sich ja mit ihnen treffen, dort, an der Mauer, bei Tagesanbruch.
Sagt ihm, er soll eine Spitzhacke mitbringen.
HINWEIS AN DIE LESER: Wer die englischen Blogeinträge in andere Sprachen übersetzen möchte, beim Fundraising helfen kann oder Vorschläge zum Erreichen einer breiteren Leserschaft hat, der melde sich bitte per E-Mail. (Siehe Link.)
Aus dem Englischen von Maren Hackmann
Originaltitel: „The Breaking of the Gaza Wall. Wise, Justified Political Violence”
© 2008 by Allan Nairn
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Die eingerissene Mauer von Gaza. Kluge, gerechtfertigte politische Gewalt
Daß die Mauer zwischen dem Gazastreifen und Ägypten eingerissen wurde, ist zweifellos eine gute Sache und ein seltenes Beispiel für die moralische – und kluge – Anwendung von Gewalt in der Politik. (Zu der Logik, die hinter der israelischen Abriegelung des Gazastreifens steckt, und deren Folgen siehe Blogeintrag vom 7. Dezember 2007, „Imposed Hunger in Gaza, The Army in Indonesia. Questions of Logic and Activism”; deutsch: „Verordnetes Hungern in Gaza, die Armee in Indonesien: Über Logik und Aktivismus“.)
In den allermeisten Fällen von politischer Gewalt – zum Beispiel bei Mord oder ungerechtfertigtem Krieg – handelt es sich eindeutig um Unrecht. Aber manchmal ist der Rückgriff auf Gewalt als letztes Mittel durchaus gerechtfertigt, sosehr wir es auch bedauern mögen, sosehr es uns auch anwidern mag. Und für diese Kategorie von Gewalt gibt es auch noch eine Unterkategorie: jene Gewalt nämlich, die nicht nur gerechtfertigt, sondern obendrein taktisch klug ist.
Morde, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind indiskutabel, doch kommt es in anderen Zusammenhängen durchaus vor, daß die eine oder andere Art von Gewaltanwendung zumindest bedenkenswert erscheint. In solchen Fällen gilt es sorgsam abzuwägen.
Was nun die eingerissene Mauer von Gaza betrifft, so bedarf es keiner großen Debatte, um festzustellen, ob die Gewaltmaßnahme berechtigt war: Kein Mensch wurde getötet; vielmehr dürfte manch einer vor dem Tod bewahrt worden sein. Außerdem gelang es mit dem spektakulären Exodus nach Ägypten, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf ein himmelschreiendes Unrecht zu lenken.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß es ausgerechnet die Hamas war, die so etwas zustandebrachte. (Zumindest wirkten einige Hamas-Leute an der Aktion mit – auf welcher Ebene, ist noch unklar.) Schließlich ist die Hamas eine Bewegung, die mit ihren Bombenanschlägen auf israelische Zivilisten unmoralisch, kriminell und taktisch dumm agierte, womit sie nur erreichte, daß die Unterdrückten in den Augen vieler zu Unterdrückern wurden; manche Opfer wurden dabei auch tatsächlich zu Mördern.
Doch diese Gewalt, die sich gegen nichts weiter als eine Mauer richtete, diese Gewalt war gut und richtig, ein wahrer Geniestreich. Einigen der bei der israelischen Armee, beim Shin Bet, beim Mossad oder im Kabinett dienenden Killer dürfte – der Legende von den allwissenden israelischen Geheimdiensten zum Trotz – für einen Moment der Schreck in die Glieder gefahren sein. Manch einer wird gar nicht gewußt haben, wie ihm geschah.
Immerhin war dies der erste große kluge Schritt der Palästinenser seit der David-und-Goliath-Intifada, bei der Israel vor 20 Jahren Panzer und wohlbewehrte Soldaten gegen steinewerfende Jugendliche einsetzte. Auf diese Weise gelang es den Palästinensern damals, die Besatzer vorzuführen und das israelische Regime in die Defensive zu drängen. (Nicht, daß dieser Zustand lange genug anhielt, um seine volle Wirkung zu entfalten. Die Friedensnobelpreisträger Rabin und Arafat ließen es nicht dazu kommen. Rabin gab den Befehl zum Knochenbrechen – „Gewalt, Macht und Prügel“ sollten die Palästinenser zu spüren kriegen –, woraufhin Israel eine Zeit lang noch schlechter aussah. Doch dann zog Arafat die jugendlichen Davids aus dem Verkehr, weil sie ohne seine Erlaubnis am Gewinnen waren.)
Fassungslosigkeit und Entsetzen machten sich auch in den Räumen der armen Washington Post breit.
Am Ende fiel ihr nichts Besseres ein, als der Hamas die „Ausnutzung des einstweiligen Brennstofflieferstops“ vorzuwerfen – weil nämlich die Hamas die Bevölkerung über diese israelische Maßnahme unterrichtete. (Ist die Information der Öffentlichkeit nicht etwas, was Zeitungen unterstützen sollten?) Außerdem scheint die Logik ihrer Ausführungen keinen anderen Schluß zuzulassen, als daß sie nun auch noch den Darfur-Flüchtlingen ihre Rechte absprechen will. („As thousands stream across the border to Egypt, Hamas blockades the peace process“, Washington Post, 24. Januar 2008.)
Die Washington Post fragte rhetorisch: „Würde Mubarak es Zehntausenden von Darfur-Flüchtlingen erlauben, vom Sudan aus – wo es eine echte humanitäre Krise gibt – illegal nach Ägypten einzureisen?“ Die realistische und (für Mubarak) schändliche Antwort lautet natürlich „Nein“. Also soll Mubarak mit den ungebetenen Gästen aus dem Gazastreifen doch bitteschön genauso übel umspringen, findet jedenfalls die Washington Post.
Damit die Palästinenser draußen (oder, besser gesagt, eingesperrt) bleiben, sollen also auch die Darfur-Flüchtlinge abgewiesen werden?
Wer mit solchen Argumenten ankommt, der weiß wohl selbst nicht mehr, womit er seine Sache noch verteidigen soll.
Wie wär’s denn, wenn ein paar Palästinenser beschlössen, auch in die Mauer im Westjordanland eine Bresche zu schlagen? Wenn, sagen wir, Zehntausende Teenager eines Morgens bei Tagesanbruch mit Spitzhacken und Brechstangen zur Stelle wären?
Würde die israelische Armee Menschenleben auslöschen, um Beton zu retten?
Wahrscheinlich schon.
Sie meint ja, das sei ihr gutes Recht.
Chaim Ramon drückte es folgendermaßen aus: „Wir haben das Recht, alles zu zerstören“ (Gideon Levy, „Little Ahmadinejads“, Haaretz, 10. Juni 2007). Diese Äußerung tat der damalige israelische Justizminister zwar im Hinblick auf den Libanonkrieg von 2006, in dessen Verlauf rund 1.000 libanesische und 40 israelische Zivilisten getötet wurden und die israelische Armee mittels ihrer größtenteils aus den USA bezogenen Streubomben rund vier Millionen Minibomben über dem Südlibanon verteilte. Es könnte sich bei Ramons Ausspruch aber ebensogut um eine Beschreibung der Moral- und Strafrechtsphilosophie des heutigen israelischen/US-amerikanischen Establishments handeln, einer Philosophie, die, wenn es um Israel geht, auch in der israelischen/US-amerikanischen Gesellschaft großen Anklang findet.
Aber wenn die Armee das machen würde, wenn sie wirklich das Feuer eröffnete, dann wäre in der israelisch-palästinensischen Geschichte ein neues Kapitel aufgeschlagen. Viele Palästinenser würden dabei ums Leben kommen, wie immer, doch wäre ihr Tod in diesem Fall vermutlich nicht sinnlos: In aller Welt – auch in den USA – würde man begreifen, wer hier wen unterdrückt.
Übrigens brachte die führende israelische Zeitung, Haaretz, unlängst eine hieb- und stichfeste Kritik an Israels sicherheitspolitischem Argument für den riesigen Sperranlagenkomplex, der im Westjordanland Dörfer abgeriegelt und in der hoch aufragenden Mauer seine Vollendung findet.
Wegen der Absperrungen müssen die Palästinenser Umwege in Kauf nehmen, die sie viel Zeit kosten, Zeit, in der manch einem die Kräfte schwinden, manch einer im Krankenwagen stirbt. Begründet werden diese Maßnahmen offiziell damit, daß jemand, der vorhabe, andere Leute und sich selbst in die Luft zu sprengen, auf diese Weise an der Begehung von Mord beziehungsweise Selbstmord gehindert werde. An und für sich wäre das eine gute Begründung.
Die Haaretz-Reporter fanden jedoch heraus, daß – unglaublich, aber wahr – 475 der 572 Straßensperren unbewacht sind, woraufhin sich ihnen ein paar Fragen aufdrängten: Wie bitte? Selbstmordattentäter sollen hier nicht durchkommen können? Sie sollen weder willens noch in der Lage sein, über die unbewachten Absperrungen zu klettern, mit denen normale Leute (und Krankenwagen) am Durchkommen gehindert werden?
Der Haaretz-Analyst gelangte zu dem naheliegenden Schluß, daß die Abriegelungen in Wahrheit einem ganz anderen Zweck dienen:
„Will hier wirklich irgend jemand ernsthaft behaupten, ein Erdwall, ein Graben oder eine Reihe von Betonklötzen sei für einen Terroristen ein unüberwindbares Hindernis? Erfüllen diese Absperrungen irgendeinen anderen Zweck, als den Palästinensern das Leben schwer zu machen? Den Kranken und Alten, den schwangeren Frauen und allen, die sich vielleicht gerade mit Einkaufstaschen abschleppen, wird das Verlassen ihrer Dörfer und Städte beziehungsweise der Nachhauseweg mit diesem Hindernislauf zweifellos erschwert. B’Tselem und die Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ haben einige Fälle dokumentiert, in denen Kranke unversorgt blieben, weil ihnen der Weg zum Arzt beziehungsweise zur Klinik versperrt war. Hingegen dürfte es jemandem, der einen Terroranschlag plant, nicht allzu schwer fallen, über die Erdwälle hinwegzuklettern, die Gräben zu überqueren und die Betonklötze zu umgehen …“
„Keiner meiner Gesprächspartner hatte“, so der Autor Daniel Gavron weiter, „ein schlagendes militärisches Argument für die unbewachten Straßensperren parat. Vielmehr legten Leute, die mit dem Denken des israelischen Militärs vertraut sind, mir gegenüber überzeugend dar, daß die Absperrungen in erster Linie der Zersplitterung des Gebiets dienen, womit die Gründung eines ‚zusammenhängenden palästinensischen Staats’, für den US-Präsident George Bush kürzlich warb, unmöglich wird. Dafür, daß die unbewachten Straßensperren die Sicherheit der Israelis in Israel oder auch nur die Sicherheit der jüdischen Siedler in den palästinensischen Gebieten erhöhen, gibt es nach allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, keinen Anhaltspunkt.“ (Daniel Gavron, „Start with the unmanned roadblocks!“, Haaretz, 23. Dezember 2007; der Autor verweist auch auf frühere Haaretz-Berichte.)
Bei den von palästinensischen Fußgängern verübten Bombenanschlägen ist zwar im Gegensatz zu den von israelischen Fliegern verübten tatsächlich ein Rückgang zu verzeichnen. Das dürfte aber, wie die erfahrene israelische Korrespondentin Amira Hass schreibt, andere Ursachen haben als die Mauer und die übrigen Absperrungen. (Siehe Amira Hass, „Where are the suicide bombers?“, Dezember 2007, Kibush.co.il, aus dem Hebräischen ins Englische übersetzt von George Malent. Täglich gelingt es einigen verzweifelten Palästinensern, die Mauer zu überwinden, um in Israel zu arbeiten, schreibt Hass. Wenn ein Arbeitsuchender das schafft, dann wird jemand, der aus persönlichen oder politischen Gründen ein Selbstmordattentat verüben will, das wohl auch schaffen können.)
Im übrigen hat der Internationale Gerichtshof die Mauer für völkerrechtswidrig erklärt. Ebenso unglücklich wie über die Mauer sind die Palästinenser verständlicherweise über die gleichfalls völkerrechtswidrigen Siedlungen und die ganze illegale Besatzung. Nichts wäre der Sicherheit Israels förderlicher als ein Abriß der israelischen Mauer, eine Räumung der israelischen Siedlungen und ein Ende der israelischen Besatzung.
Wie es scheint, will das israelische Regime aber partout, daß ständig Krieg in der Luft liegt, bildet doch die Kriegsgefahr den Nährboden für die politische Kultur des Landes.
Dagegen ist nichts zu sagen – was die Israelis wollen, ist ihre Sache.
Sie haben aber kein Recht, anderen Leuten ihren Willen aufzuzwingen.
Das gleiche gilt natürlich für die Palästinenser. Sie haben ein Recht auf die Durchsetzung ihrer Rechte, weiter nichts.
Und weil eine der beiden Seiten diese illegale Mauer einreißen muß und Olmert keinerlei Anstalten dazu macht, wäre es doch eine gute Sache, wenn ein paar palästinensische Teenager ihm ihre Dienste anböten.
Er kann sich ja mit ihnen treffen, dort, an der Mauer, bei Tagesanbruch.
Sagt ihm, er soll eine Spitzhacke mitbringen.
HINWEIS AN DIE LESER: Wer die englischen Blogeinträge in andere Sprachen übersetzen möchte, beim Fundraising helfen kann oder Vorschläge zum Erreichen einer breiteren Leserschaft hat, der melde sich bitte per E-Mail. (Siehe Link.)
Aus dem Englischen von Maren Hackmann
Originaltitel: „The Breaking of the Gaza Wall. Wise, Justified Political Violence”
© 2008 by Allan Nairn
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Samstag, 8. Dezember 2007
Verordnetes Hungern in Gaza, die Armee in Indonesien: Über Logik und Aktivismus
Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt, daß die im Zuge der israelischen Blockade stark reduzierten „Lebensmitteleinfuhren in den Gazastreifen nur ausreichen, um 41 Prozent des Bedarfs zu decken“. (Mit diesen Worten gab die UN-Nachrichtenagentur IRIN diese Einschätzung wieder; IRIN, Jerusalem, „Only 41 percent of Gaza’s food import needs being met“, 6. Dezember 2007.) Den Bewohnern des Gazastreifens werden also ungeheuerliche 59 Prozent der von ihnen benötigten Lebensmittel vorenthalten.
Bei Hunger leidenden Menschen kann schon eine nur geringfügig verminderte Nahrungsaufnahme wachstumshemmende oder tödliche Wirkung haben, vor allem bei Kleinkindern, deren Gehirn sich noch in der Entwicklungsphase befindet.
Die UN-Nachrichtenagentur IRIN meldet: „Die von Israel verfügten Reise- und Handelsbeschränkungen haben in Gaza zu einem Nachlassen der Kaufkraft geführt. Wie eine unlängst vom Welternährungsprogramm durchgeführte Umfrage ergab, hatten von jenen 62 Prozent der Befragten, die ihre Ausgaben in den vergangenen Monaten reduzieren mußten, 97 Prozent bei der Kleidung und 93 Prozent bei Lebensmitteln gespart.“
IRIN verweist auf den Fall von Naheda Ghabaien, „einer Mutter von fünf Kindern im Flüchtlingslager Shati in Gaza-Stadt“. Ihr Mann „hatte früher an drei bis vier Tagen in der Woche Arbeit und brachte dafür rund 10 US-Dollar pro Tag nach Hause“. Jetzt aber, nach Verhängung der Sanktionen, „hat er nur an ein paar Tagen im Monat Arbeit“.
Im Gegensatz zu so vielen anderen Menschen auf der Welt, deren Kalorienzufuhr gefährdet ist, wird der Familie Ghabaien wenigstens ein bißchen geholfen. Alle zwölf Wochen erhält sie von UNRWA, dem UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, „Zuteilungen von Reis, Mehl, Öl und Zucker, mit denen sie vier bis sechs Wochen auskommen kann. Fleisch ißt die Familie kaum noch; sie ernährt sich hauptsächlich von Gemüse.“
„Wenn uns die von UNRWA zugeteilten Lebensmittel ausgehen“, so Naheda Ghabaien nach dem IRIN-Bericht, „dann kaufen wir das Notwendige im Lebensmittelgeschäft ein und lassen anschreiben. Wenn mein Mann Arbeit hat, gehen seine Tageseinnahmen größtenteils für die Schuldentilgung drauf.“
Die Nachrichtenagentur berichtet außerdem: „Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sagen, daß Behelfsmechanismen dieser Art an ihre Grenzen stoßen.“ Bald werde es den schon jetzt unter großen Entbehrungen leidenden Bewohnern Gazas nicht mehr möglich sein, auf diese Weise an Lebensmittel heranzukommen.
Die israelische Regierung sagt, die von ihr verhängten Sanktionen seien legal. Sie stellen also nach Israels Dafürhalten keine unverhältnismäßige Vergeltung und somit auch kein Kriegsverbrechen dar. Daraus folgt logischerweise, daß das Vorenthalten von Nahrung und anderen Dingen nach israelischem Verständnis nicht schlimmer ist als der vom Gazastreifen ausgehende Raketenbeschuß.
Nun, wenn das so ist, dürfte Israel gegen einen kleinen Rollentausch ja nichts einzuwenden haben: Sagen wir, Gaza erhält die Macht und das Recht, den Israelis praktisch 59 Prozent ihrer Nahrungsmittel vorzuenthalten (und überdies nach Belieben ihre Strom- und Benzinversorgung zu unterbinden, ihr Kommunikationswesen lahmzulegen, ihren medizinischen Nachschub zu blockieren, ihr Recht auf Freizügigkeit außer Kraft zu setzen, ihren Luftraum zu sperren und so weiter); die Israelis erhalten im Gegenzug das Recht, den Gazastreifen in dem Maß mit Raketen zu beschießen, wie Israel von dort beschossen wird, was bedeutet, daß im Durchschnitt alle vier Monate einmal der Tod eines Zivilisten zu beklagen sein wird.
Würde die israelische Regierung auf dieses Angebot eingehen, das ganz auf ihrer eigenen Rechtslogik basiert?
Natürlich nicht. Sie wäre auch schön blöd, wenn sie es täte. Israel nimmt für sich ohnehin das Recht in Anspruch, den Gazastreifen und andere Gegenden nach Belieben zu bombardieren und unter Granatenbeschuß zu nehmen. Für jeden getöteten israelischen Zivilisten tötet Israel ungefähr zehn palästinensische beziehungsweise arabische Zivilisten. (Zu der Statistik für die besetzten palästinensischen Gebiete siehe die Internetseite der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, www.btselem.org.) Und außerdem: Ein Land, dem es einfiele, den Israelis mehr als die Hälfte ihrer Nahrungsmittel vorzuenthalten – mit Israel also umzugehen wie Israel derzeit mit dem Gazastreifen –, so ein Land würde von Israel und/oder den USA sofort dem Erdboden gleichgemacht.
Die Machtfülle des Machthabers zählt nun einmal mehr als seine eigene Rechtslogik. Dafür gibt es viele Beispiele.
In Indonesien, einem mehrheitlich muslimischen Land, das sich in bezug auf Israel kritisch gibt – dessen Killerstreitkräfte diskreter israelischer Hilfe aber keineswegs abgeneigt sind –, ist der Präsident, General Susilo, gerade dabei, den Heereskommandeur des Landes zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu machen, obwohl das Heer nach dem vorgesehenen Rotationsprinzip noch gar nicht wieder an der Reihe ist.
Reuters, Jakarta (28. November 2007), schreibt, Susilo wolle sich „mit diesem Schachzug nach Ansicht mancher Beobachter der Unterstützung des mächtigen Militärs vergewissern, weil im Jahr 2009 Wahlen anstehen“. (Siehe auch AFP, Jakarta, 6. Dezember 2007, wo dieselbe Schlußfolgerung gezogen wird.) In Jakarta weiß eben jeder mit dem Politikbetrieb vertraute Mensch: Wer Wahlen zu gewinnen hofft und regieren will, ist auf das Heer angewiesen.
Ein bißchen seltsam ist Susilos Schritt aber doch. Schließlich hatten die akademischen und politischen Apologeten des Regimes von Fortschritt und Reform gesprochen, als Indonesien vor ein paar Jahren damit begann, für den Posten des Oberbefehlshabers der Streitkräfte Männer auszuwählen, die nicht dem Heer, sondern der Luftwaffe oder der Marine angehörten.
Das Argument, das sie hierfür anführten, geriet allerdings zu einer unfreiwilligen Selbstanklage: Weil die meisten Zivilisten durch das Heer getötet worden seien – soweit korrekt –, würden die Dinge besser laufen, wenn fortan entweder die Marine (die in Timor nach dem Referendum von 1999 bei der Entführung von vielen zehntausend Menschen behilflich war und in diesem Jahr ein Massaker in Java veranstaltete [siehe Blogeintrag vom 13. November 2007, „Vomiting to Death on a Plane. Arsenic Democracy“]) oder die Luftwaffe (die Timor und Aceh bombardierte) beim Militär den Ton angäbe.
Ihre eigene Logik müßte diese Leute jetzt eigentlich zu der Feststellung veranlassen, daß die Ernennung eines Heeresvertreters einen Rückschritt bedeutet, doch werden sie diese Schlußfolgerung kaum ziehen. Der US-Kongreß ist nämlich gerade dabei, sich zu überlegen, wie viele Millionen genau er für ebendiese Streitkräfte locker machen will.
Eilige Erkundungen, die das US-Außenministerium in dieser Woche in Washington einholte, erweckten den Eindruck, es gäbe womöglich Pläne, unverdeckte Hilfe für Kopassus bereitzustellen – für jene Heereseinheit, deren Sadismus der berüchtigtste von allen ist und um deren Ausbildung sich die USA in all den Jahren ganz besonders intensiv gekümmert haben.
(General Prabowo – er ist der berüchtigtste aller Kopassus-Kommandeure, und das will was heißen – erhielt seine Ausbildung unter anderem in Fort Benning und Fort Bragg. Ungeachtet der Tatsache, daß das mörderische Treiben dieses Manns wohlbekannt war, wurde er einmal in einem US-Botschaftsmemo als Beispiel für den Erfolg der US-amerikanischen Schulungen genannt, und zwar insbesondere für den Erfolg des IMET-Programms („International Military Education and Training“). Prabowo beklagte sich gegenüber einem US-amerikanischen Gesprächspartner einmal darüber, daß ihm all das nicht nur Vorteile gebracht habe. Ein paar indonesische Generäle würden sich nämlich über ihn lustig machen, weil er so gut Englisch spräche. Für sie sei er nur „der Amerikaner“.)
Den US-Kongreß erreicht man unter der Telefonnummer 202-224-3121. Die Mitglieder des maßgeblichen Vermittlungsausschusses sind [in der Originalfassung dieses Blogeintrags] unten aufgeführt. Das „East Timor & Indonesia Action Network“, ETAN (http://etan.org/) hat Hintergrundinformationen zusammengestellt und bietet Aktionsvorschläge an. Es kann also gleich losgehen.
Mit Aktivismus läßt sich wirklich etwas bewegen: Wir haben die US-Exekutive (unter den Präsidenten Bush I. und Clinton) besiegt und durch die über den Kongreß erzwungenen Kürzungen der Militärhilfe unseren Teil dazu beigetragen, Suhartos Herrschaft zu beenden und Timor zu befreien.
(Suhartos alter Sicherheitschef, Admiral Sudomo, hat mal zu mir gesagt, Suharto habe sich deswegen nicht länger an der Macht halten können, weil die demonstrierenden Studenten in Jakarta nicht rechtzeitig und hinreichend unter Beschuß genommen worden seien. Sie, die Entscheidungsträger, hätten zu lange gezaudert, weil sie befürchteten, die US-amerikanische Hilfe, die ihnen schon nach dem im timoresischen Dili verübten Massaker von 1991 gekürzt worden war, werde sonst womöglich noch spärlicher fließen. Beim Verlassen seines riesigen Zementbunkerhauses – zum Zierat gehörten Fotos, die ihn zusammen mit dem US-amerikanischen Golfspieler Arnold Palmer zeigten – wurde mir klar, daß Sudomo nicht sonderlich darauf geachtet hatte, wem er das alles erzählte, denn als ich ging, drückte er mir ein Buch in die Hand, das mich für das, was ich in Dili und danach getan hatte, verurteilte.)
Daß diese durch Aktivismus errungenen Siege möglich waren, ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß Indonesien auf der Washingtoner Prioritätenliste nicht sehr weit oben stand. Es war ein Land, mit dem hauptsächlich Bürokraten auf der mittleren Ebene befaßt waren; die hohen Tiere kümmerten sich um andere Killer. Daß die US-Konzernmedien während der neun Jahre, die wir erbittert für die Streichung der Militärhilfe durch den Kongreß kämpften, keine Notiz von uns nahmen, war einerseits frustrierend, andererseits vielleicht aber auch ganz gut: Die von Jakarta im Verein mit US-Konzernen und dem diplomatischen, militärischen und geheimdienstlichen Establishment der USA betriebene Gegenmobilisierung könnte sich dadurch verzögert haben; sie nahm nämlich erst 1994 ernstzunehmende Ausmaße an, als die Lobbygruppe „US-Indonesia Society“ (bei der auch General Prabowo mitmischte) und noch ein paar andere Initiativen ins Leben gerufen wurden.
Bei Israel-Palästina liegen die Dinge völlig anders. Regierung und Medien kennen kaum ein wichtigeres Thema, und die Gegenmobilisierung ist gewaltig. Wer hier engagiert auf einen Kurswechsel in der US-amerikanischen Politik hinarbeitet, bleibt nicht lange unbemerkt. Die maßgebliche Koryphäe auf diesem Gebiet ist der Politologe Norman G. Finkelstein, weswegen er oft verunglimpft wird. (Seine namhaftesten Kollegen, darunter Raul Hilberg und Avi Shlaim, loben ihn in den höchsten Tönen, während andere Leute gar nicht genug Lügen über ihn verbreiten können.) Er sieht bereits erste Anzeichen für ein allmähliches Umdenken in den USA, und zwar interessanterweise vor allem unter jüngeren US-amerikanischen Juden.
Macht ist eine Sache; Tatsachen und Logik sind eine andere. Man sollte diese Dinge nicht verwechseln.
Je eher die Leute auf unserer Seite vom Gewehr – da wo der Abzug sitzt – die Augen aufmachen und einfach mal hinsehen, desto eher werden die Leute auf der anderen Seite – da, wo die Kugeln und die Lebensmittelkürzungen rauskommen – davon verschont bleiben, daß ihnen durch einen gewaltsamen Tod für immer die Augen geschlossen werden.
Aus dem Englischen von Maren Hackmann
Originaltitel: „Imposed Hunger in Gaza, The Army in Indonesia. Questions of Logic and Activism”
by Allan Nairn, News and Comment, http://www.newsc.blogspot.com
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Bei Hunger leidenden Menschen kann schon eine nur geringfügig verminderte Nahrungsaufnahme wachstumshemmende oder tödliche Wirkung haben, vor allem bei Kleinkindern, deren Gehirn sich noch in der Entwicklungsphase befindet.
Die UN-Nachrichtenagentur IRIN meldet: „Die von Israel verfügten Reise- und Handelsbeschränkungen haben in Gaza zu einem Nachlassen der Kaufkraft geführt. Wie eine unlängst vom Welternährungsprogramm durchgeführte Umfrage ergab, hatten von jenen 62 Prozent der Befragten, die ihre Ausgaben in den vergangenen Monaten reduzieren mußten, 97 Prozent bei der Kleidung und 93 Prozent bei Lebensmitteln gespart.“
IRIN verweist auf den Fall von Naheda Ghabaien, „einer Mutter von fünf Kindern im Flüchtlingslager Shati in Gaza-Stadt“. Ihr Mann „hatte früher an drei bis vier Tagen in der Woche Arbeit und brachte dafür rund 10 US-Dollar pro Tag nach Hause“. Jetzt aber, nach Verhängung der Sanktionen, „hat er nur an ein paar Tagen im Monat Arbeit“.
Im Gegensatz zu so vielen anderen Menschen auf der Welt, deren Kalorienzufuhr gefährdet ist, wird der Familie Ghabaien wenigstens ein bißchen geholfen. Alle zwölf Wochen erhält sie von UNRWA, dem UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge, „Zuteilungen von Reis, Mehl, Öl und Zucker, mit denen sie vier bis sechs Wochen auskommen kann. Fleisch ißt die Familie kaum noch; sie ernährt sich hauptsächlich von Gemüse.“
„Wenn uns die von UNRWA zugeteilten Lebensmittel ausgehen“, so Naheda Ghabaien nach dem IRIN-Bericht, „dann kaufen wir das Notwendige im Lebensmittelgeschäft ein und lassen anschreiben. Wenn mein Mann Arbeit hat, gehen seine Tageseinnahmen größtenteils für die Schuldentilgung drauf.“
Die Nachrichtenagentur berichtet außerdem: „Mitarbeiter von Hilfsorganisationen sagen, daß Behelfsmechanismen dieser Art an ihre Grenzen stoßen.“ Bald werde es den schon jetzt unter großen Entbehrungen leidenden Bewohnern Gazas nicht mehr möglich sein, auf diese Weise an Lebensmittel heranzukommen.
Die israelische Regierung sagt, die von ihr verhängten Sanktionen seien legal. Sie stellen also nach Israels Dafürhalten keine unverhältnismäßige Vergeltung und somit auch kein Kriegsverbrechen dar. Daraus folgt logischerweise, daß das Vorenthalten von Nahrung und anderen Dingen nach israelischem Verständnis nicht schlimmer ist als der vom Gazastreifen ausgehende Raketenbeschuß.
Nun, wenn das so ist, dürfte Israel gegen einen kleinen Rollentausch ja nichts einzuwenden haben: Sagen wir, Gaza erhält die Macht und das Recht, den Israelis praktisch 59 Prozent ihrer Nahrungsmittel vorzuenthalten (und überdies nach Belieben ihre Strom- und Benzinversorgung zu unterbinden, ihr Kommunikationswesen lahmzulegen, ihren medizinischen Nachschub zu blockieren, ihr Recht auf Freizügigkeit außer Kraft zu setzen, ihren Luftraum zu sperren und so weiter); die Israelis erhalten im Gegenzug das Recht, den Gazastreifen in dem Maß mit Raketen zu beschießen, wie Israel von dort beschossen wird, was bedeutet, daß im Durchschnitt alle vier Monate einmal der Tod eines Zivilisten zu beklagen sein wird.
Würde die israelische Regierung auf dieses Angebot eingehen, das ganz auf ihrer eigenen Rechtslogik basiert?
Natürlich nicht. Sie wäre auch schön blöd, wenn sie es täte. Israel nimmt für sich ohnehin das Recht in Anspruch, den Gazastreifen und andere Gegenden nach Belieben zu bombardieren und unter Granatenbeschuß zu nehmen. Für jeden getöteten israelischen Zivilisten tötet Israel ungefähr zehn palästinensische beziehungsweise arabische Zivilisten. (Zu der Statistik für die besetzten palästinensischen Gebiete siehe die Internetseite der israelischen Menschenrechtsorganisation B’Tselem, www.btselem.org.) Und außerdem: Ein Land, dem es einfiele, den Israelis mehr als die Hälfte ihrer Nahrungsmittel vorzuenthalten – mit Israel also umzugehen wie Israel derzeit mit dem Gazastreifen –, so ein Land würde von Israel und/oder den USA sofort dem Erdboden gleichgemacht.
Die Machtfülle des Machthabers zählt nun einmal mehr als seine eigene Rechtslogik. Dafür gibt es viele Beispiele.
In Indonesien, einem mehrheitlich muslimischen Land, das sich in bezug auf Israel kritisch gibt – dessen Killerstreitkräfte diskreter israelischer Hilfe aber keineswegs abgeneigt sind –, ist der Präsident, General Susilo, gerade dabei, den Heereskommandeur des Landes zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu machen, obwohl das Heer nach dem vorgesehenen Rotationsprinzip noch gar nicht wieder an der Reihe ist.
Reuters, Jakarta (28. November 2007), schreibt, Susilo wolle sich „mit diesem Schachzug nach Ansicht mancher Beobachter der Unterstützung des mächtigen Militärs vergewissern, weil im Jahr 2009 Wahlen anstehen“. (Siehe auch AFP, Jakarta, 6. Dezember 2007, wo dieselbe Schlußfolgerung gezogen wird.) In Jakarta weiß eben jeder mit dem Politikbetrieb vertraute Mensch: Wer Wahlen zu gewinnen hofft und regieren will, ist auf das Heer angewiesen.
Ein bißchen seltsam ist Susilos Schritt aber doch. Schließlich hatten die akademischen und politischen Apologeten des Regimes von Fortschritt und Reform gesprochen, als Indonesien vor ein paar Jahren damit begann, für den Posten des Oberbefehlshabers der Streitkräfte Männer auszuwählen, die nicht dem Heer, sondern der Luftwaffe oder der Marine angehörten.
Das Argument, das sie hierfür anführten, geriet allerdings zu einer unfreiwilligen Selbstanklage: Weil die meisten Zivilisten durch das Heer getötet worden seien – soweit korrekt –, würden die Dinge besser laufen, wenn fortan entweder die Marine (die in Timor nach dem Referendum von 1999 bei der Entführung von vielen zehntausend Menschen behilflich war und in diesem Jahr ein Massaker in Java veranstaltete [siehe Blogeintrag vom 13. November 2007, „Vomiting to Death on a Plane. Arsenic Democracy“]) oder die Luftwaffe (die Timor und Aceh bombardierte) beim Militär den Ton angäbe.
Ihre eigene Logik müßte diese Leute jetzt eigentlich zu der Feststellung veranlassen, daß die Ernennung eines Heeresvertreters einen Rückschritt bedeutet, doch werden sie diese Schlußfolgerung kaum ziehen. Der US-Kongreß ist nämlich gerade dabei, sich zu überlegen, wie viele Millionen genau er für ebendiese Streitkräfte locker machen will.
Eilige Erkundungen, die das US-Außenministerium in dieser Woche in Washington einholte, erweckten den Eindruck, es gäbe womöglich Pläne, unverdeckte Hilfe für Kopassus bereitzustellen – für jene Heereseinheit, deren Sadismus der berüchtigtste von allen ist und um deren Ausbildung sich die USA in all den Jahren ganz besonders intensiv gekümmert haben.
(General Prabowo – er ist der berüchtigtste aller Kopassus-Kommandeure, und das will was heißen – erhielt seine Ausbildung unter anderem in Fort Benning und Fort Bragg. Ungeachtet der Tatsache, daß das mörderische Treiben dieses Manns wohlbekannt war, wurde er einmal in einem US-Botschaftsmemo als Beispiel für den Erfolg der US-amerikanischen Schulungen genannt, und zwar insbesondere für den Erfolg des IMET-Programms („International Military Education and Training“). Prabowo beklagte sich gegenüber einem US-amerikanischen Gesprächspartner einmal darüber, daß ihm all das nicht nur Vorteile gebracht habe. Ein paar indonesische Generäle würden sich nämlich über ihn lustig machen, weil er so gut Englisch spräche. Für sie sei er nur „der Amerikaner“.)
Den US-Kongreß erreicht man unter der Telefonnummer 202-224-3121. Die Mitglieder des maßgeblichen Vermittlungsausschusses sind [in der Originalfassung dieses Blogeintrags] unten aufgeführt. Das „East Timor & Indonesia Action Network“, ETAN (http://etan.org/) hat Hintergrundinformationen zusammengestellt und bietet Aktionsvorschläge an. Es kann also gleich losgehen.
Mit Aktivismus läßt sich wirklich etwas bewegen: Wir haben die US-Exekutive (unter den Präsidenten Bush I. und Clinton) besiegt und durch die über den Kongreß erzwungenen Kürzungen der Militärhilfe unseren Teil dazu beigetragen, Suhartos Herrschaft zu beenden und Timor zu befreien.
(Suhartos alter Sicherheitschef, Admiral Sudomo, hat mal zu mir gesagt, Suharto habe sich deswegen nicht länger an der Macht halten können, weil die demonstrierenden Studenten in Jakarta nicht rechtzeitig und hinreichend unter Beschuß genommen worden seien. Sie, die Entscheidungsträger, hätten zu lange gezaudert, weil sie befürchteten, die US-amerikanische Hilfe, die ihnen schon nach dem im timoresischen Dili verübten Massaker von 1991 gekürzt worden war, werde sonst womöglich noch spärlicher fließen. Beim Verlassen seines riesigen Zementbunkerhauses – zum Zierat gehörten Fotos, die ihn zusammen mit dem US-amerikanischen Golfspieler Arnold Palmer zeigten – wurde mir klar, daß Sudomo nicht sonderlich darauf geachtet hatte, wem er das alles erzählte, denn als ich ging, drückte er mir ein Buch in die Hand, das mich für das, was ich in Dili und danach getan hatte, verurteilte.)
Daß diese durch Aktivismus errungenen Siege möglich waren, ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß Indonesien auf der Washingtoner Prioritätenliste nicht sehr weit oben stand. Es war ein Land, mit dem hauptsächlich Bürokraten auf der mittleren Ebene befaßt waren; die hohen Tiere kümmerten sich um andere Killer. Daß die US-Konzernmedien während der neun Jahre, die wir erbittert für die Streichung der Militärhilfe durch den Kongreß kämpften, keine Notiz von uns nahmen, war einerseits frustrierend, andererseits vielleicht aber auch ganz gut: Die von Jakarta im Verein mit US-Konzernen und dem diplomatischen, militärischen und geheimdienstlichen Establishment der USA betriebene Gegenmobilisierung könnte sich dadurch verzögert haben; sie nahm nämlich erst 1994 ernstzunehmende Ausmaße an, als die Lobbygruppe „US-Indonesia Society“ (bei der auch General Prabowo mitmischte) und noch ein paar andere Initiativen ins Leben gerufen wurden.
Bei Israel-Palästina liegen die Dinge völlig anders. Regierung und Medien kennen kaum ein wichtigeres Thema, und die Gegenmobilisierung ist gewaltig. Wer hier engagiert auf einen Kurswechsel in der US-amerikanischen Politik hinarbeitet, bleibt nicht lange unbemerkt. Die maßgebliche Koryphäe auf diesem Gebiet ist der Politologe Norman G. Finkelstein, weswegen er oft verunglimpft wird. (Seine namhaftesten Kollegen, darunter Raul Hilberg und Avi Shlaim, loben ihn in den höchsten Tönen, während andere Leute gar nicht genug Lügen über ihn verbreiten können.) Er sieht bereits erste Anzeichen für ein allmähliches Umdenken in den USA, und zwar interessanterweise vor allem unter jüngeren US-amerikanischen Juden.
Macht ist eine Sache; Tatsachen und Logik sind eine andere. Man sollte diese Dinge nicht verwechseln.
Je eher die Leute auf unserer Seite vom Gewehr – da wo der Abzug sitzt – die Augen aufmachen und einfach mal hinsehen, desto eher werden die Leute auf der anderen Seite – da, wo die Kugeln und die Lebensmittelkürzungen rauskommen – davon verschont bleiben, daß ihnen durch einen gewaltsamen Tod für immer die Augen geschlossen werden.
Aus dem Englischen von Maren Hackmann
Originaltitel: „Imposed Hunger in Gaza, The Army in Indonesia. Questions of Logic and Activism”
by Allan Nairn, News and Comment, http://www.newsc.blogspot.com
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